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ARTIKEL – « Sie starben für Klamotten »
Interview von Sarah München (Télécran) mit Michelle Schmit.
Vor acht Jahren stürzte das Rana-Plaza-Gebäude in Bangladesch ein, Tausende Näherinnen und Näher starben. Zum Jahrestag erzählt Michelle Schmit von der Caritas Luxembourg, was sich seitdem verändert hat und warum Corona die Situation wieder verschärft.
Frau Schmit, wissen Sie, wer Ihre Kleider, die Sie gerade tragen, hergestellt hat?
Meine Hose ist von meiner Mutter und sicher schon 20 Jahre alt. Meine Bluse ist fair hergestellt, aber von einem größeren Unternehmen, da bin ich immer etwas skeptisch.
Wieso?
Viele größere Unternehmen haben ihre normalen Fast-Fashion-Kollektionen und nur eine faire Kollektion. Das ist besser als nichts. Aber da sollten die Konsumenten aufpassen. Es kann sein, dass die Marke gerade im Umbruch ist und auf faire Mode umstellt. Vielleicht gibt es diese eine Kollektion aber auch nur, weil faire Kleider gerade in sind.
Was raten Sie Verbrauchern, die bewusst und fair einkaufen wollen?
Grundsätzlich ist es gut, weniger und bessere Sachen zu kaufen und seine Kleidung zu pflegen und zu reparieren. Wenn man jetzt aufhören würde, Kleidung zu produzieren, hat man übrigens noch genug für sechs Generationen. Wenn ich etwas kaufe, überlege ich zehn Mal, ob ich etwas brauche und ob ich es mindestens zehn Mal tragen werde. Gebrauchte Kleidung ist immer eine gute Wahl, die gibt es beispielsweise bei Onlineplattformen wie Vinted oder in den lokalen Second-Hand-Läden. Wenn ich etwas nirgends gebraucht finde, schaue ich bei fairen Unternehmen, die auf Umweltschutz und Arbeitsbedingungen achten. Meist sind das kleinere, teurere Labels. Praktisch ist die App "good on you", eine Art Tripadvisor für Marken. Man sollte vor allem auf die Etiketten achten, dort steht, wo und wie das Teil hergestellt wurde. In Luxemburg gibt es immer mehr junge Menschen, die nachhaltig produzieren, zum Beispiel das faire Label Devï. Dahinter steht eine junge Frau, die mit einer Gruppe von Näherinnen aus Indien zusammenarbeitet.
Am 24. April 2013 stürzte das Rana-Plaza-Gebäude in Bangladesch ein. 1134 Menschen starben und 2500 wurden verletzt. Was hat sich seitdem verändert?
Diese Tragödie hat dazu beigetragen, dass vielen Menschen bewusst geworden ist, dass hinter jeder Bluse ein Mensch steht, der sie näht. Meist sind es Frauen, oft auch Kinder. Sie sind gestorben für so etwas Unnötiges wie Klamotten. Die Gebäude haben sich seitdem verbessert, aber Arbeitsbedingungen, Arbeitszeit und der Druck von den Marken sind nicht besser geworden. Das Schlimmste war, dass danach jedes Unternehmen gesagt hat: `Nein, da produzieren wir nicht.`
Durch Corona hat sich die Situation allerdings wieder verschlimmert. Alles wurde gestoppt. Die meisten Marken haben ihre Bestellungen einfach nicht bezahlt. Die Millionen Näherinnen und Näher bekommen ohnehin nur 0,3 bis 5 Prozent des Verkaufspreis. Und jetzt ist mehr als die Hälfte von ihnen ohne Lohn. Die Existenz dieser Menschen ist bedroht, sie wissen nicht, wie sie ihr Essen bezahlen sollen.
Aber eigentlich ist es doch gut, dass die Menschen weniger kaufen und weniger produziert wird...
Einerseits ist es gut. Andererseits ist es unverständlich, dass Unternehmen, die jedes Jahr Millionen Gewinne machen, sich nicht verantwortlich fühlen und einfach nicht mehr zahlen. Es ist aber auch keine Lösung, gar nichts mehr zu kaufen. Wie soll sonst ein Land wie Bangladesch überleben? Corona ist eine gute Zeit, das gesamte System zu überdenken. Es gibt viele Menschen, die momentan ihr Konsumverhalten verändern und mehr darauf achten, was sie kaufen. Aber nicht nur die Verbraucher, sondern auch die Politik müsste etwas ändern.
Inwiefern?
Wir brauchen ein Lieferkettengesetz. Es kann nicht sein, dass Unternehmen Ihre Produkte in Textilfabriken produzieren lassen, und nicht wissen, wie die Bedingungen vor Ort sind. Es geht aber nicht nur um die schlechten Arbeitsbedingungen: Die Mode-Industrie ist nach der Öl-Industrie auf Rang zwei der größten Umweltverschmutzer. Aber es ist nicht nur die Schuld der Unternehmen, denn es ist legal möglich, so zu produzieren. Und ein Unternehmen schaut meist nicht darauf, was es Gutes für den Menschen tun kann, sondern wie es den meisten Profit generieren kann. Deswegen müssen die Staaten das endlich unterbinden. Es muss genaue gesetzliche Vorgaben geben und wenn diese nicht erfüllt werden, dann müssen Strafen her.